Interdisziplinäres Format vernetzt Akteur:innen des Gesundheitswesens
Wenn sich Menschen bei einem Thema einig sind, dürfte der Diskussionsbedarf gering sein. Die zweite Auflage von „Gesundheitsversorgung in Sachsen-Anhalt – Quo vadis“ im Mitteldeutschen Multimediazentrum in Halle (MMZ) bewies das Gegenteil.
„Einen Zielkonflikt haben wir gar nicht“, sagte Mitgastgeberin Steffi Suchant von der Techniker Krankenkasse (TK) bei der Begrüßung. „Wir wissen, wir brauchen Innovationen, um gegen unter anderem den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen anzugehen und eine bessere Versorgung zu gewährleisten.“ Dass Digitalisierung dabei kein Selbstzweck, sondern nur ein Werkzeug sein kann, war für die Anwesenden ebenfalls unstrittig.
Unterschiedliche Rollen und Herausforderungen
Doch wie soll die Transformation gelingen? Etwa durch ein besseres Kennenlernen aller Akteur:innen und des Gesundheitssystems. Beides stand am 14. November beim Gemeinschaftsevent von TK, der Translationsregion für digitalisierte Gesundheitsversorgung (TDG) und der Univations GmbH im Fokus. Schwatzen war dabei laut Steffi Suchant „ausdrücklich erwünscht und erbeten“.
Eine erste Gelegenheit bot die von Journalist Marcel Roth moderierte Podiumsdiskussion des Events. Diese nutzten Vertreter:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und der Gesundheitsversorgung daher, um ihre unterschiedlichen Rollen und jeweiligen Herausforderungen im Umgang mit Innovationen deutlich zu machen.
So unterstrich Dr. Jörg Böhme, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung, dass niedergelassene Ärzt:innen grundsätzlich bereits seit 20 Jahren digital arbeiteten. „Wir können digital kommunizieren und abrechnen. Wir können auch mit dem E-Rezept umgehen“, sagt Böhme. „Nur unsere Praxisverwaltungssysteme können das noch nicht.“ Vieles dauere zu lange, aber man sei auf dem Weg. Dazu brauche es den Vorstoß der Krankenkassen.
Clevere Idee fürs Gesundheitswesen – und dann?
Beim Vertrieb ihrer Virtual-Reality-Therapie-Software für die Behandlung von Angstpatient:innen in Kliniken identifizierten Prof. Thomas Wolbers und sein Team von neomento andere Hürden. „Die hohe Fluktuation in Krankenhäusern hat zum Teil dazu geführt, dass unsere Software nach der Anschaffung nicht mehr genutzt wird“, sagte der Chief Science Officer des Magdeburger Startups. Auch die generell fehlende Ausbildung des medizinischen Personals im VR-Bereich führe zu Berührungsängsten. „Für niedergelassene Therapeuten ist die Finanzierung ein Problem. Für sie ist der Kauf unseres Systems ein zusätzliches Investment, durch das sie nicht mehr verdienen“, so Wolbers.
Auch Hans-Joachim Münch, geschäftsführender Gesellschafter der Sonotec GmbH, entwickelt mit seinem Team innerhalb eines neuen TDG-Projektes ein neuartiges Verfahren zur Harnflussmessung. Was es aus seiner Sicht für eine erfolgreiche Innovation braucht? Die richtigen Mitarbeitenden. „Nur, wenn die Kollegen auf einem hohen Level und geschult sind, können auch tolle Produkte entstehen“, sagte Münch in der Runde.
Einen Einblick, wie der Zugang zum Markt über eine Krankenkasse gelingen, gab Steffi Suchant am Beispiel der TK. Die Techniker haben ein Innovationsportal eingerichtet, um mit Innovator:innen in Kontakt zu treten. Wer das Gesundheitswesen mit einer cleveren Idee verbessern möchte und bereits einen Prototyp vorweisen kann, findet dort alle wichtigen Informationen für den Weg in das deutsche Gesundheitssystem und erhält Feedback von Expert:innen.
„Viele scheitern nicht daran, dass die Idee nicht gut ist, sondern, dass die bürokratischen Regularien tatsächlich sehr hoch und schwer vermittelbar sind“, so Suchant. Als Unternehmen wolle man für mehr Transparenz sorgen. Doch klar ist für die Leiterin der TK-Landesvertretung Sachsen-Anhalt auch: „Man muss letztlich Ausdauer haben und nicht von einem Sprint ausgehen. Es ist ein Marathon.“
Netzwerke und Regionalität als Chance
Eine Chance, diese lange Distanz zu meistern, sah Mitgastgeber Prof. Dr. Patrick Jahn in Netzwerken wie der TDG. Sie bringen unterschiedliche Perspektiven zusammen und realisieren so Innovationen mit echtem Mehrwert für Patienten. „Nach einer starken Zentralisierung, sehe ich nun auch eine andere Entwicklung“, sagte der TDG-Projektleiter. „Regionen, die den eigenen Innovationsbedarf für sich erkannt haben und die vor Ort in die Gestaltung des Gesundheitssystems gehen.“
Dass man als Land in erster Linie an Bundesgesetze gebunden ist, machte Karen Müller, Abteilungsleiterin für Gesundheit und Pflege in Sachsen-Anhalt im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung deutlich. Eine der wenigen Option, die regionale Gestaltung des Gesundheitssystems zu unterstützen, sei die Finanzierung von Projekten und das versuche das Land im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Frust über die aktuelle Bundespolitik war bei Dr. Gösta Heelemann besonders deutlich zu spüren. „Ich würde mir vom Bundesgesundheitsminister wünschen, dass es wirklich mal um Versorgung und nicht um parteipolitische Ideologie geht“, sagte der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Sachsen-Anhalt.
Weiterer Schritt Richtung in der Vernetzung
Die Teilnehmenden der Diskussionsrunde machten in eineinhalb Stunden viele Standpunkte deutlich und waren sich am Ende doch wieder in einer Sache einig: Genau dieser Austausch war nötig. „Tatsächlich kommen solche interdisziplinären Runden sehr, sehr selten vor“, sagte Thomas Wolbers. „Es ist extrem hilfreich, wenn wir die Hindernisse, auf die wir in der Produktentwicklung stoßen, auch einmal auf diese Entscheidungsebenen bringen können.“ Zudem sei der Austausch gut, um die Komplexität des Gesundheitswesens noch besser zu durchschauen.
Zufrieden zeigten sich auch Steffi Suchant und Jörg Böhme. „Ich denke, das ist wie beim Arzt-Patienten-Kontakt, das persönliche Gespräch ist eine ganz andere Basis, miteinander zu kommunizieren und sich vielleicht auch mal Gedanken über Dinge zu machen, über die man sonst nicht nachdenken würde“, sagte Böhme. „Neue Ideen brauchen einen geschützten Raum und unterschiedliche Akteure“, so Steffi Suchant. „Dafür ist dieses Format geeignet. Dass sich so viele Beteiligte heute die Zeit genommen haben, um miteinander zu sprechen, ist ein guter Schritt, weil er zeigt, dass jeder was bewegen möchte.“
So ging es beim anschließenden Speedmatching und an drei unterschiedlichen Thementischen kamen auch andere Teilnehmende miteinander ins Schwatzen und ins Diskutieren. Allein die lebendige Geräuschkulisse deutete auf eine hohe Motivation aller Beteiligten hin. Dem Ziel: Einander besser kennenzulernen und verschiedene Ebenen von Akteur:innen miteinander zu vernetzten, ist man mit dem Veranstaltungsformat einmal mehr nähergekommen.